Bericht über die Exkursion der TBG am 26.05.2012: „Gebiet zwischen Dienstädt und Orlamünde“

Peter Rode (mit Ergänzungen von Hagen Grünberg)

 

Die Exkursion am 26.05.2012 führte in die Höhe zwischen Reinstädter Grund und Dehnagrund nördlich des Ortes Dienstädt.

 

Dienstädt, im Tal des Dehnabaches (eines linken Nebenbaches der Saale) gelegen, wurde bereits 1083 als Denstedt erstmals erwähnt. Sein Name stammt wohl von einem Personennamen Dedo oder Degan und bildet die Grundlage des Namens „Dehnabach“. Die für das ostthüringische Gebiet frühe Ersterwähnung steht im Zusammenhang mit dem nahen Orlamünde, das bereits vor der Jahrtausendwende als Befestigung zur Sicherung der „Saalelinie“ gegründet wurde und in dessen Umgebung relativ frühe Besiedlung bezeugt ist.

Dienstädt war bis 1831 zwischen Sachsen-Altenburg und Sachsen-Weimar geteilt, bis 1840 hatte es sieben verschiedene Gerichtsbarkeiten. Alter Überlieferung zufolge gab es (gleichzeitig) sieben Dorfschulzen, die alljährlich zum Jahresbeginn vier Gemeindevorsteher als Rechnungsprüfer wählten.

 

 

 

 

 

Sehenswert im Ort ist die Kirche St. Sebastian mit einem eigenartigen Grundriß (im 15. Jahrhundert wurde an den eingezogenen Chor der bisherigen Chorturmkirche ein gotischer Chor mit 5/8-Abschluß angebaut, der Zugang zur Kirche erfolgt seitlich in den Chorturm!). Sie beherbergt einen wertvollen Schnitzaltar (Altarretabel) der Zeit um 1520 aus einer Zwickauer Werkstatt und eine einmanualige Orgel von 1736. An der Innenseite der Kirchhofsmauer schöne Bestände des Mauer-Rautenfarn (Asplenium ruta-muraria).

Der Ort liegt im Bereich des Mittleren Buntsandsteins, nach Norden grenzt im Exkursionsgebiet der Obere Buntsandstein (Röt) mit Gipslagern an, die Steilhänge des Kugelberges werden vom Unteren Muschelkalk gebildet, die Zone der Oolithbänke im unteren Wellenkalk (mu1) ist an mehreren Stellen aufgeschlossen. Südwestlich des Ortes gibt es ausgedehnte holozäne Kalktuff-Ablagerungen eines ehemals ausgedehnten Flachmoores.

Ernst Amende (1902: S. 260) schreibt über Kleinbucha: „ Für den Botaniker sind die Bergleiten, die sich von den Häusern nach dem Buchberge hinaufziehen, wahre Schatzkammern.“ – eine Aussage, die auch für Dienstädt galt und gilt. Dementsprechend gibt es eine reiche Tradition der botanischen Erforschung der Umgebung von Dienstädt. Von den Botanikern des 19. Jahrhunderts wie F.C. H. Schönheit und Carl Bogenhard sind keine Funde aus der näheren Umgebung Dienstädts überliefert (wohl aber von Orlamünde).

Die Floristische Kartierung des Exkursionsgebietes, welches an vier Meßtischblatt-Viertelquadranten Anteil hat, wurde 1995-98 von H.-J. Zündorf, vor allem aber von Klaus Helmecke bearbeitet. K. Helmecke bearbeitete 2005-08 das Gebiet auch im Rahmen der Erfassung der FFH- und Rote-Liste-Arten – eine Vielzahl von Neufunden und Bestätigungen gefährdeter Pflanzenarten gehen auf diese intensive Erfassung zurück.

Einen besonderen Wert besaß die Ackerwildkrautflora (daß dies leider heute nicht mehr so ist – s.u.). Amende gab 1892 Conringia orientalis für das Gebiet von Dienstädt an; W. Hilbig wies in einem Acker am Weg Dienstädt-Zweifelbach 1961 Neslia paniculata und Galium tricornutum nach.

Besonderes Augenmerk wurde stets auf die Feuchtgebiete in der nahen Umgebung Dienstädts gelegt. Fröhlich meldete 1942 Carex davalliana von „Wiesen bei Dienstädt“, J. Bisse ohne nähere Lagebezeichnung Carex lepidocarpa – zwei Arten, die im Geschützten Landschaftsbestandteil (GLB) „An den Gemeindeteilen“ heute noch vorkommen. K. Dransfeld untersuchte die Sumpfwiese 100m südwestlich des Ortes im Rahmen seiner Diplomarbeit näher und konnte die heute verschwundenen Arten Eriophorum latifolium, Pinguicula vulgaris. Parnassia palustris und Carex distans nachweisen.

Für eine „Tuffgrube 400m südwestlich von Dienstädt“ gab Breitrück aus dem Jahr 1970 Ophioglossum vulgatum an (diese Art kommt heute noch im GLB „An den Gemeindeteilen“ vor), H. Korsch bearbeitete 1990-93 im Rahmen seiner umfangreichen Untersuchungen in ganz Thüringen die Quellstelle südwestlich Dienstädts, jedoch nicht das in den 1970er Jahren durch Bachbegradigung und –vertiefung fast völlig entwertete Flachmoor am Ortsrand, dessen Reste 1999 unter Schutz gestellt wurden und seit Mitte der 1990er Jahre gepflegt werden. Das botanische Inventar des GLB erfaßte Heinrich 2004 erstmals vollständig.

Aus dem Untersuchungsgebiet liegt eine Vielzahl von Orchideenfunden vor; systematisch erstmals in den 1980er Jahren durch die Fachgruppe Jena erfaßt, später durch verschiedene Bearbeiter aktualisiert und ergänzt.

 

Zur Exkursion am 26.05.2012 waren 22 Interessenten gekommen, sie wurde geführt von Hagen Grünberg (Bucha) und Peter Rode (Stadtroda).

Gleich am Ortsausgang Dienstädts gab es an einer Mauer am Friedhof einen großen Bestand der Osterluzei (Aristolochia clematitis), zusammen mit einigen Pflanzen von Vaillants Erdrauch (Fumaria vaillantii), zu sehen. Die Osterluzei wird als Weinbaurelikt angesehen - in Dienstädt hat es im Mittelalter Weinbau gegeben. Dienstädt gehörte neben anderen Orten im Saaletal und Hexengrund zu den Dörfern, die den Stadtrat zu Orlamünde (und vorher das Wilhemiterkloster) mit Wein zu beliefern hatten.

Auf einem asphaltierten Feldweg ging es nach Nordosten, am Wegrand konnte ein Vorkommen des Echten Eisenkrauts (Verbena officinalis) bestätigt werden.

Die Getreidefelder am Wegrand (Weizen, Triticale) werden mittlerweile so intensiv bewirtschaftet, daß mit Ausnahme von Bromus sterilis kaum noch „Allerweltsunkräuter“ zu sehen waren, geschweige denn seltenere oder gefährdete Arten. Lediglich an einer Ackerecke standen im Vorgewende wenige Pflanzen des Sommer-Adonisröschens (Adonis aestivalis), hier begleitet von vier Exemplaren des Acker-Hahnenfußes (Ranunculus arvensis – diese Art war 1999 von J. Pusch erstmals für dieses Gebiet  angegeben worden). Die Intensität der Bewirtschaftung hat in den letzten 5-10 Jahren stark zugenommen, so daß ohne Hilfsmaßnahmen mit dem Aussterben seltenerer Ackerwildkräuter gerechnet werden muß.

Erstes Exkursionsziel war ein großer Mispelbaum (Mespilus germanica), den H. Grünberg im Jahr 2011 bei Kartierungsarbeiten „entdeckt“ hat. Er weist den erstaunlichen Stammumfang von 1,75 m (gemessen in ca. 30 cm Höhe) und einen Kronendurchmesser von etwa 10 m auf. Wahrscheinlich ist er in ca. 50 cm Höhe auf Weißdorn gepfropft. Nach Ansicht von H. Grünberg stellt er die stärkste bekannte Mispel Thüringens dar; deshalb wird er zur Zeit von der UNB als Naturdenkmal ausgewiesen. Leider war die Blüte bereits vorbei, aber der imposante Baum beeindruckte die Exkursionsteilnehmer.

Zurück zum Fahrweg folgte nun der Steilanstieg auf den Kugelberg. Beachtenswert war das häufige Vorkommen des Walnußbaums (Juglans regia) in der Verjüngung der Kiefernforste! An einer Stelle war das Birngrün (Orthilia secunda) blühend zusehen, zusammen mit einem kleinen Bestand des Katzenpfötchens (Antennaria dioica) und Braunroter Sitter (Epipactis atrorubens). Am Weg waren auch das Blasse Waldvögelein (Cephalanthera damasonium) und die Vogel-Nestwurz (Neottia nidus-avis) zu beobachten.

Am Aufstieg zum Kugelberg konnte in einem Halbtrockenrasen das Moos des Jahres 2011, Thuidium abietinum, bewundert werden. Am nordexponierten Oberhang des Kugelberges zeigte H. Grünberg ein Vorkommen des in Thüringen gefährdeten Mooses Mnium spinulosum. Diese Art ist in Europa vor allem montan verbreitet (Alpen, Pyrenäen); in Thüringen wurde sie bislang hauptsächlich in Fichtenwäldern über Muschelkalk nachgewiesen. Die Art besitzt in Thüringen einen Verbreitungsschwerpunkt.

Auf dem Kammweg des Kugelberges war recht häufig ein Löwenzahn aus der Sektion Erythrosperma, wohl Taraxacum rubicundum, fruchtend zu sehen. Am Wegrand stand an mehreren Stellen das Berg-Hellerkraut (Noccaea montana), welches seit 2011 einen Rote-Liste-Status aufweist.

Nach einer Pause wurde die Hausteinlücke erreicht. Hier waren im lichten Kiefernwald größere Bestände der Echten Kugelblume (Globularia bisnagarica) sowie des Katzenpfötchens zu finden, begleitet von Gelber Spargelerbse (Tetragonolobus maritimus) und Fliegen-Ragwurz (Ophrys insectifera). Die 2009 von K. Helmecke hier entdeckte Spinnen-Ragwurz blühte nicht (mehr).Wenige Meter unterhalb der Hausteinlücke war das Grünblütige Wintergrün (Pyrola chlorantha) –eine Art, die noch nach 1990 an vielen Stellen des Kugelberges nachgewiesen wurde, die jedoch  aufgrund der stark zunehmenden Laubholzsukzession immer mehr verschwindet. Hier stand auch ein Exemplar des Moosauges (Moneses uniflora) – ein Neufund für das MTB 5235!

An Obstbäumen und Eschen im Mahltal waren erstaunlich arten- und individuenreiche Flechtenbestände zu beobachten. H. Grünberg zeigte an einem Eschenstamm die Flechtenarten Bryoria fuscescens, Hypogymnia physodes, H. tubulosa, Platismatia glauca, Evernia prunastri, Parmelia sulcata, P. saxatilis, P. exasperatula, Physcia tenella, Ph. adscendens, Xanthoria parietina, Pseudoevernia furfuracea, Ramalina farinacea und eine Usnea-Art. An zwei weiteren Eschen wuchs je ein Exemplar der in Thüringen gefährdete Flechte Evernia divaricata - der erste Fund im Hügelland der bisher nur von Lärchen im Gebirge bekannten Art. Ein interessanter Einblick in diese faszinierende, aber sehr artenreiche Organismengruppe!

 

Im unteren Teil des Mahltals befindet sich eine kleine Quellstelle mit einem bemerkenswerten Arteninventar. Hier kommt – wohl am letzten noch verbliebenen Standorts Ostthüringens das Platthalm-Quellried (Blysmus compressus) vor. Die Art ist in Thüringen mittlerweile vom Aussterben bedroht. Sie wird hier von der Entferntährigen Segge (Carex distans), der Gelben Spargelerbse und dem Erdbeer-Klee (Trifolium fragiferum) begleitet. Die Quellstelle am Wegrand steht nicht unter Schutz und wird durch periodische Schafbeweidung offengehalten.

In einem kleinen Tümpel auf der gegenüberliegenden Wegseite wurden in einem großen Carex auctiformis-Bestand von H. Grünberg noch einmal Moose gezeigt; hier steht auch das Große Zweiblatt (Listera ovata).

Zum Abschluß gab es auf einer Bank unter Linden Kaffee und Kuchen von Elke Rode.

 

Literatur:

Ortsgeschichte

Amende, E. (1902): Landeskunde des Herzogtums Sachsen-Altenburg. - Altenburg: Alfred Tittel´s Verl. - 272 S.

Dehio, G. (1998): Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Thüringen. – München, Berlin: Deutscher Kunstverl. – 1467 S., 12 Karten.

Haupt, H. (1989): Orgeln im Bezirk Gera. – Hrsg.: Rat des Bezirkes Gera, Abt. Kultur. –

96 S.

Patze, H. (Hrsg., 1989): Handbuch der historischen Stätten Deutschlands. 9. Band: Thüringen. 2. Aufl. - Stuttgart: Alfred Kröner Verl. – 592 S.

Rosenkranz, H. (1982): Ortsnamen des Bezirkes Gera. - Hrsg.: Kulturbund der DDR, Kreissekr. Greiz. – 86 S.

Weinhold, H. (1985): Wanderungen im Kirchenkreis Kahla. – Berlin: Evangel. Verlagsanstalt. -  112 S.

Haupt, H. (1989): Orgeln im Bezirk Gera. – Hrsg.: Rat des Bezirkes Gera, Abt. Kultur. – 96 S.

Botanik:

Branco, K. (1942): Floristische Beobachtungen in Thüringen. – Mitt. Thüring. Bot. Vereins 49: 210–228.

Breitrück, H. (1975): Zur Flora von Südostthüringen (2. Beitrag). - Wiss. Z. Martin-Luther-Univ. Halle-Wittenberg, Math.-Naturwiss. Reihe 24 (6): 99–102.

Dransfeld, K. (19666): Kalkflachmoore in Thüringen. – Landschaftspflege Naturschutz Thüringen 3: 10–19.

Heinrich, W. (2004): GLB “An den Gemeindeteilen” bei Dienstädt (Saale-Holzland-Kreis) – Flora und Vegetation. – Unveröff. Gutachten im Auftrag der UNB Saale-Holzland-Kreis. - 85 S.

Heinrich, W. (2004): Bemerkenswerte Pflanzenfunde (9). - Inform. Florist. Kartierung Thüringen 23: 11–19.

Hilbig, W. (1963): Zur Flora von Thüringen II. - Wiss. Z. Martin-Luther-Univ. Halle-Wittenberg, Math.-Naturwiss. Reihe 12 (9): 713.

Korsch, H. (1994): Die Kalkflachmoore Thüringens. Flora, Vegetation und Dynamik. – Haussknechtia, Beih. 4.

Rode, P. & J. Göckeritz (2012): Prioritäten im botanischen Artenschutz Thüringens – aktuelle Situation im Saale-Holzland-Kreis. - Landschaftspflege Naturschutz Thüringen (im Druck).

Schwarz, O. & K. Meyer (1957): Beiträge zur Flora von Thüringen. - Mitt. Thüring. Bot. Ges. I (4): 181–200.

 

Evernia divaricata (Foto H. Grünberg)

Fotos P. Rode